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Jeder Mensch ist ein Designer oder was wir von Hegel über gute Gestaltung lernen können

Was im Alltag wie eine Binsenweisheit klingt, »In der Nacht sind alle Kühe schwarz«, wird von dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1807 in seiner Vorrede zur Phänomenologie des Geistes verwendet, um eine Wende im System des Wissens einzuleiten. Hegel vollzieht damit nicht nur die Abkehr von einem als Substanz verstandenen göttlichen Absoluten, sondern befreit zugleich die Wirklichkeit und das Wissen davon, beliebig und in letzter Instanz ununterscheidbar bzw. schwarz zu sein. Damit die Fülle der Wirklichkeit in Erscheinung treten kann, muss also das Göttliche für Hegel in die Leere einer negativen Theologie verbannt werden.

Gut 200 Jahre nach dem großen Systemdenker tritt eine relativ junge und bisher weitgehend marginalisierte wissenschaftliche Disziplin – die Designwissenschaft – mit einer wissenschaftlichen Revolution – genannt »design turn« – auf den Plan und verspricht im »Geiste der Gestaltung« das System der Wissenschaften erneut zu strukturieren.

Seit Beginn der sprachkritischen Wende Anfang des 20. Jahrhunderts hat es eine Reihe solcher Turns gegeben, von denen der linguistische nur der prominenteste zu sein scheint. Mit ähnlicher Absolutheit wie das Göttliche tritt auch jeder weitere Turn als der rechte bzw. richtige und vorläufig letzte an.

Nachdem alle vorherigen Wenden – die Reihe reicht vom »linguitic turn« und dessen Erweiterungen, dem »semiotic« und »semantic turn«, bis zum »iconic turn« – innerhalb der Designforschung nur einen Perspektivwechsel ausgelöst haben, soll nun mit dem Konzept des »design turn« von Wolfgang Schäffner nicht das Design als eine wissenschaftliche Disziplin anerkannt werden, »vielmehr soll umgekehrt wissenschaftliche Praxis [generell] als eine Designtätigkeit erkannt werden«. Vergleichbar selbstbewusst war die Disziplin bisher nur mit dem Vorschlag des »design thinking« angetreten, das versprach, die Zone der »marginalisierten Wissenskultur« zu verlassen, um die ansonsten kaum zu bewältigenden Probleme der Welt zu lösen.

Was der »design turn« genau ist und wie die Führungsrolle des Designs darin aussehen soll, bleibt in Schäffners programmatischem Text allerdings vage. Nicht nur im Titel erfahren wir, dass wir es bei dieser »allgemeinen Wende« mit einer »wissenschaftlichen Revolution im Geiste der Gestaltung« zu tun haben, sondern Schäffners »kurze Diagnose der gegenwärtigen Situation« betont vor allem auch, dass dieser historische Augenblick neu ist. Das Adjektiv neu übernimmt in diesem Programm fast schon die Funktion eines Prä- oder Suffixes; trotz der Kürze des Gesamttextes wimmelt es geradezu von neuen »Verbindungen«, »Möglichkeiten«, »Wissenschaften«, neuer »Architektur«, »Organisation«, »Situation« etc.

Die ständige Betonung des Neuen, was man von einer Revolution per se eigentlich annehmen sollte, legt den Verdacht nahe, das die Neuheit und damit die Wende vielleicht gar nicht so »fundamental« sind, wie Schäffner vorgibt. Eine weitere Enttäuschung wartet auf den begierigen Leser, denn der Metadiskurs des Designs wird, wie der Begriff Design selbst, gar nicht näher erläutert. Statt von Design ist viel von Gestaltung die Rede und auch das auf sehr unspezifische Art und Weise. Das wiederum »elementare[n] Tetraeder des Wissens«, welches der Autor aufzeichnet, wird nämlich unter dem Diktat der Nanotechnologien in verschiedene Sektoren aufgeteilt. Die Hegemonie dieser Supermacht begründet Schäffner mit einem »qualitativen Sprung« zur Gestaltung, den man eher im Bereich existenzialistischer Philosophie vermuten sollte. Das hat Folgen nicht nur für das »restliche Feld der Naturwissenschaften«, sondern auch für alle anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Insbesondere für die Geistes- und Gestaltungswissenschaften, in deren Geiste diese Umwälzung ja eigentlich stattfindet, stehen Veränderungen bevor. Deren angebliche Gestaltung war nämlich bisher im günstigsten Fall nur eine Analyse von Praktiken und muss – jetzt droht sogar die Marginalisierung aller Geisteswissenschaften – dringend die Herausforderung des »design turn« annehmen und die heißt für Schäffner mit Karl Marx: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.« Die 11. Feuerbach-These hat Marx übrigens nicht, was Schäffner als »ideologische Manifestation« dieses Mottos für die Geisteswissenschaften entschuldigt, von Feuerbach übernommen. Die elf »Thesen über Feuerbach« heißen deshalb so, weil Marx mit ihnen Feuerbach kritisiert. Diese Stelle ist nicht nur ein Lapsus eines Naturwissenschaftlers, sondern wird bewusst zur Diskreditierung eines konkurrierenden Denkens verwendet. Schäffner ist von Haus aus Kulturwissenschaftler, der sich aber vorgenommen hat, das »doing things«, die »Revolution im Geiste der Gestaltung [einmal] aus der Perspektive der Naturwissenschaften [zu] skizzieren«. So löst der flüchtige Fauxpas in einer »Skizze« beim aufmerksamen Leser allerdings ein Unbehagen gegenüber den Inhalten und vor allem dem Design des Gesamttextes aus. Vor lauter Neuland, das beackert werden muss, verkommt das Theoriedesign des Textes selbst zu Brachland. Auch »Überlegungen« haben wie insgesamt alle Gedanken eine Form, sodass Design konsequent, wie Daniel Hornuff gezeigt hat, zunächst einmal beim Gedankendesign ansetzen sollte. Gänzlich ohne Gestaltung wären solchen »reinen« Gedanken »schwarze Kühe«, ohne große Reflexion bleiben sie in der Nacht der Gestaltung als (Gedanken-)Katzen grau. Die Gedanken oder genauer gesagt das Denken sind allerdings nicht frei, wie es ein deutsches Volkslied suggeriert. Tatsächlich denke ich nicht, »was ich will«, wie es im Text heißt, sondern die Gedanken ziehen auch an mir vorbei wie »nächtliche Schatten«, da ich allein das denken kann, was die Sprache mir erlaubt zu denken.

Auf viel fundamentalere Weise als Schäffner sich das denkt, beherrscht uns also das Design, ja man kann in Abwandlung von Joseph Beuys’ berühmtem Diktum sogar behaupten, dass jeder Mensch ein Designer ist. »Niemand kann denken, ohne seine Gedanken zugleich in Form zu bringen. Das gilt […] für das stumme Denken, für ein Denken, das sich als inneres Sprechen vollziehen mag. Ganz gewiss aber gilt es für dessen Pendant: für das geäußerte, veröffentlichte, vorgetragene, dargebotene, zur Debatte gestellte Denken.« Man muss wie Hornuff nicht gleich eine »Fakultät für Gedankendesign« postulieren, um zu erkennen, dass es neben dem Design von Dingen ein Design der Gedanken gibt, ja, folgt man der Logik von Hegels Phänomenologie des Geistes, dann ist das Gedankendesign sogar primär und das Dingdesign hiervon abgeleitet. Mit dem Zauberwort der Dialektik verabschiedet sich Hegel bereits 1807 von der reinen Analyse und terminologischen Stasis der philosophischen Tradition und beginnt den Begriff zu dynamisieren: »Nennen wir Begriff die Bewegung des Wissens, den Gegenstand aber das Wissen als ruhige Einheit oder als Ich, so sehen wir, daß nicht nur für uns, sondern für das Wissen selbst der Gegenstand dem Begriffe entspricht.« Die Phänomenologie selbst ist ein dunkles und schwer verständliches Buch, das nicht nur für die philosophische Rezeption, sondern erst recht für die Designforschung verschlossen scheint. Trotzdem ist die Lektüre, wie Pirmin Stekeler in seinem »dialogischen Kommentar« des Buches zeigt, theoriefähig und für die aktuellen Debatten in den Kognitionswissenschaften und der Designforschung durchaus gewinnbringend. Der »design turn«, den Wolfgang Schäffner konstatiert, ist tatsächlich nicht neu, sondern wurde vor gut 200 Jahren bereits von Hegel vollzogen und zwar konkret in seinen Reflexionen zum Selbstbewusstsein, dort im Abschnitt »Herrschaft und Knechtschaft«. Für Hegel beginnt jede Erkenntnis mit der Selbsterkenntnis eines denkenden Subjekts. Das hegelianische Projekt der Selbsterkenntnis bzw. das Selbstbewusstsein ist allerdings für ihn keine irgendwie geartete Rückkehr zu vorbewusstem, aber prinzipiell bekanntem Wissen – z. B. vor der Folie des göttlichen Logos, wie es Platon vorgeschlagen hat – sondern eine Praxis des Entwerfens. Und der erste Schritt in dieser Entwurfspraxis ist das Self-Design eines in sich gespaltenen Subjekts, das sich gleichzeitig im Denken und als Objekt seines Denkens erfährt. Unser Verhältnis zur Welt ist prinzipiell das gleiche wie zu uns selbst, wir versuchen uns und die Außenwelt zu begreifen, und diese Bewegung des Begriffs ist eine Design-Tätigkeit, »Handwerk«, wie Richard Sennett im gleichnamigen Buch zu zeigen versucht. Aus Hegels Analyse des Selbstbewusstseins ergeben sich in Hinblick auf die »Revolution im Geiste der Gestaltung«, den »design turn«, einige Schlussfolgerungen, die Wolfgang Schäffner nicht gefallen dürften. Die Ergebnisse der detaillierten Untersuchung von Hegels Programm, wie sie in Abschnitt 2 dieser Abhandlung erfolgt, vorwegnehmend, muss man folgern, dass es ein rechtes und ein linkes Design gibt. Es mag paradox klingen, aber rechtes im Sinne von »richtigem« Design ist eigentlich immer links und eine proletarische Tätigkeit, während rechtes im Sinne von »konservativem, aristokratischem« Design immer Herrschaftsdesign ist. Mit Hegel und der Französischen Revolution, die sicherlich das Vorbild für das Konzept von Herrschaft und Knechtschaft lieferte, spaltet sich das bis dahin omnipräsente Design (von politischer und religiöser Macht) in moderne Kunst und das, was wir seither unter Design verstehen: Die Konstruktion der Wirklichkeit unter gestalterischen Gesichtspunkten und menschliches Leben verstanden als die Verwandlung von sich und den Dingen der natürlichen Welt in Artefakte.

Teil 2

Kunst und Design

»Die Nacht der Welt«, die in den kurz vor dem Erscheinen der Phänomenologie verfassten Jenaer Systementwürfen das reine Selbst in phantasmagorischen Vorstellungen noch mit blutigen Köpfen und weißen Gestalten beschießt, wird in der Vorrede zur PdG wieder undifferenziert von harmlosen schwarzen Kühen bevölkert, die friedlich auf ebenfalls unsichtbaren Weiden ihr Tagwerk verrichten. Hegels Dunkelkammer gleicht in weiten Teilen Descartes’ Blackout, der durch den Zweifel der sinnlichen Gewissheit ausgelöst wurde. Während Descartes das dubiose Verdienst zukommt, der erste Anti-Designer und damit Begründer des modernen Designs zu sein, setzt Hegel Anfang des 19. Jahrhunderts alles auf die Karte des Selbstdesigns und dürfte seine Freude an den heutigen postcartesianischen Reflexionen in den Social Media gehabt haben. Zumindest vorübergehend, denn nicht erst aktuelle sozialpsychologische Studien kommen zu dem Schluss, dass die ständigen Selbstbespiegelungen einen Wirklichkeitsverlust hervorrufen können und in letzter Konsequenz das Bewusstsein unglücklich machen. Auch die Geltungssucht und das Buhlen um soziale Anerkennung führen hier nicht zwangsläufig zum Ziel, wie Hegels Urszene von Herrschaft und Knechtschaft, die Begegnung zweier Selbstbewusstseine, die eigentlich eins sind, zeigt. Für ihn hilft einzig und allein die in Zeiten virtueller Aktivitäten verpönte Arbeit an den Dingen, das »doing things«, um auf Schäffner und den »design turn« zurückzukommen. Hegel läutet den Turn im berühmten 2. Teil des Kapitels zum Selbstbewusstsein mit dem Titel »Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit des Selbstbewußtseins: Herrschaft und Knechtschaft« ein. Das anthropogene Abenteuer, die Menschwerdung des Menschen, ereignet sich laut Alexandre Kojève, sicherlich der prominenteste Exeget des Abschnitts, auf dem Weg »von der Geburt der Rede (=Mensch) im Schoße des Seins (=Natur)«, der zunächst kryptisch »die Totalität [dieser] offenbarenden Rede ebenso wie den Prozeß des Werdens dieser Rede« umschließen soll. Vielleicht genügt zur Klärung dieser Stelle, dass Kojève in seinen Nachhilfestunden in Sachen Hegel dessen »Anthropologie eine säkularisierte christliche Theologie« nennt. Kojèves Lektüre der Phänomenologie als heideggerianischer Todes-Trip weicht an diesen Stellen stark von der ursprünglichen Intention des Autors ab, der Etablierung eines System des Wissens bzw. der Totalität der Rede als Wissenschaft (im Geiste der Gestaltung). Hegels dialektisches Projekt, die Nacht der Welt (Substanz) als Rede (Subjekt) zu entwickeln, mündet in die Entzweiung des Selbstbewusstseins und kulminiert in einer radikalisierten Lesart in die »Pflicht zum Selbstdesign«. Sein Vorstoß ins »Herz der Finsternis« beginnt zunächst einmal damit, dass sich das Bewusstsein im Existenzmodus des Mangels begreift. Das System des Selbstbewusstsein ist verzehrende Begierde und fasst seine Umwelt ausschließlich als Nahrung auf, die es (ver)nichtend einzuverleiben gilt, bis es in einer Art dissoziativer Identitätsstörung sich selbst als anderen erlebt. Die Spaltung beginnt damit, dass sich das Subjekt der Begierde in diesem Fall als Objekt des Begehrens begegnet, wobei der Konsum der Begierde in der Selbstreflexion strukturell ausgeschlossen ist, weshalb die Zerstörung (Vertilgung) in einem »Prestigekampf« um Anerkennung ausgetragen wird. Dieser Kampf auf Leben und Tod und seine Pointe ist unzählige Male beschrieben worden, sodass es an dieser Stelle genügt, den Link zum Design bzw. zur Gestaltung herzustellen. Hegel leitet das Kapitel zum Selbstbewusstsein mit einem allgemeinen Bekenntnis zu Gestaltung ein, wenn im Spiegelsaal des Unterscheidens das Leben, an sich ein »ruhiges Auseinanderleben der Gestalten (des Gestaltens)«, zur Bewegung und zum dialektische Prozess mutiert. So ist für Hegel das Leben zunächst ein »flüssiges Medium« oder »einfache allgemeine Flüssigkeit«, Ansich, bevor es sich prozesshaft in den »Unterschied der Gestalten«, das Andere, ausdifferenziert. Dies Andere des Lebens, folgert Hegel, ist das Selbstbewusstsein, wobei jetzt der Loop der Differenz an diesem reinen Selbstbewusstsein exemplifiziert wird. Gleich zu Beginn des Abschnitts formuliert Hegel die Zwickmühle des Selbstbewusstseins: »Das Selbstbewußtsein ist an und für sich, indem und dadurch, daß es für ein Anderes an und für sich ist; d.h. es ist nur als ein Anerkanntes.« Um diese Anerkennung zu gewährleisten, spaltet Hegel das Selbst in ein Subjekt und ein Objekt des Begreifens. Ich begehre mich als Anderen zu verzehren, was zwangsläufig auf die Zerstörung hinausläuft. An und für sich könnte die Bewährungsprobe hier zu Ende sein, wenn nicht die klügere der »entgegengesetzten Gestalten des Bewußtseins« nachgeben und sich als knechtisches Selbstbewusstsein nur noch um die Dingwelt statt die Anerkennung kümmern würde. Je nach Appetit kann der Knecht die Dinge der Außenwelt verzehren oder bearbeiten, während der Herr dazu verdammt ist, in der durch den Knecht vermittelten Selbstbefriedigung zu stagnieren. In seinem Geltungsdrang wird er zum reinen Kosumenten während der Knecht den Dingen eine Form gibt und die Welt im Grunde neu erschafft – Knechtsein bedeutet Herrschaft über die Welt. Der eigentliche Herr meidet die produktive Arbeit wie der Teufel das Weihwasser. Nichts illustriert die ausweglose Lage der vornehmen Klasse besser als das Beispiel des Königs, der es im Dienste des Müßiggangs vorzog, lieber zu verbrennen als sich mit der Schande »gemeiner Arbeit« zu beflecken. Für die Schändlichen ist die Arbeit dagegen »gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden, oder sie bildet. Die negative Beziehung auf den Gegenstand wird zur Form [sic!, RE] desselben und zu einem Bleibenden, weil eben dem Arbeitenden der Gegenstand Selbständigkeit hat.« Arbeit ist »formierende[s]Tun« - das ist der zentrale Gedanke Hegels in Bezug auf das Design. »Der Handelnde formt die Welt. Und er formt sich dadurch selbst.« Ding-Design ist Selbst-Design vice versa. Metaphorisch beschreibt hier Hegel die feudale Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, eine imperiale aristokratische Welt von Herren und Sklaven, die in weiten Teilen mit der Französischen Revolution ein jähes Ende finden wird. Als Folge dieser gesellschaftspolitischen Zäsur spalten sich die angewandten Künste in (moderne) Kunst und (modernes) Design, philosopisch ist der Geist des Design eng mit der Tragödie der modernen Kunst verbunden, denn erst mit dem von Friedrich Nietzsche postulierten Tod Gottes kommt auch das Hegelsche Projekt des »design turn« zu sich selbst. Müßige Kontemplation ist fürderhin einzig und allein ein Residuum für adlige Kretins, die wahre Revolution erfolgt im Geiste der aktiven (Um)Gestaltung von Mensch und Umwelt. Um der Verirrung an dieser Stelle Einhalt zu gebieten, ist es hilfreich eine Art gestalterische Parallaxe zu konstatieren. So lässt sich zum einen die Genealogie des modernen Design als Anti-Design und Pflicht zum Selbstdesign beobachten zum anderen die Spaltung des vorrevolutionären Herrschaftsdesigns in moderne Kunst und modernes Design. In beiden Lesarten der Genese geht es um die Ästhetik, in der ersten um »das moderne Design als formgewordene Ethik«, (wie sie sich in Sullivans berühmtem Diktum form follows function, aus der in Loos’s protestantischer Lesart das Ornament zum Verbrechen mutierte), in der zweiten um den »revolutionären Akt der Ästhetisierung des Ancien régime«, welcher aus dem bis dato allgegenwärtigen Design die Kunst »als totes Design« extrahierte. Boris Groys’ luzide Analyse des gegenwärtigen Kunstaktivismus lokalisiert die Genese der modernen Kunst in der Defunktionalität des bis dato allgegenwärtigen Designs. Bis zur Französischen Revolution sei alle Kunst von der Antike und dem alten China an bis hin zu den europäischen Ancien régimes nämlich nur ein Instrument weltlicher oder religiöser Potentaten gewesen, »religiöses Design oder Design von Macht und Reichtum«. Erst die Strategie, die sakralen und profanen Artefakte des Ancien régime zu musealisieren anstatt sie zu zerstören, hat laut Groys die moderne Kunst überhaupt erst entstehen lassen. Einen vorläufigen Abschluss und Höhepunkt erreicht dieses Projekt der Ästhetisierung der Vergangenheit mit Napoleon und Hegel. (Kurz erläutern Geschichte des Museums, Louvre etc.). Aus ihrem utilitären Kontext isoliert werden Objekte der alltäglichen Praxis nach dem Regimewechsel in Anschauungsmaterial reiner Kontemplation überführt, bzw. aufgehoben, wie Hegel das formuliert hätte. Mit diesem Akt der Ästhetisierung des Herrschaftsdesigns, für den bereits Immanuel Kant in seiner Kritik der Urteilskraft das Rüstzeug zur Verfügung gestellt hatte, etabliert sich auch die ästhetische Theorie, deren »Kategorien« für Theodor W. Adorno »radikal geschichtlich sind«. Nur so lässt sich auch die Wut der heute wiederum historischen Avantgardebewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstehen, die der Historisierung ihres Gegenstandsbereiches, der Kunst als totes Design, mit der Historisierung der ästhetischen Theorie und dem Projekt der Wiedervereinigung von Kunst und Leben begegnen wollten. Selbst Kritiker dieser Formel wie Peter Bürger meinen letztendlich nichts Anderes als die Rückführung der Kunst in lebendiges Design, wenn sie das Projekt der Avantgarde als »Selbstkritik der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft« beschreiben. Konsequent bekämpft der avantgardistische Künstler daher die Vergangenheit und vor allem das ihm verhasste Museum, da er die bürgerliche Institution Kunst und deren Manifestationen zu zerstören trachtet, wovon die heutigen kunstaktivistischen Nachwehen nur noch eine schwaches Zeugnis ablegen. So gesehen sind Karl Marx und sein kommunistisches Projekt der Veränderung der Welt im »Geiste« der Gestaltung tatsächlich konkurrierende Anwärter auf den Titel des design turners, denn die Realisierung des marxistischen Projekts hätte ebenfalls den Übergang von der Kunst zum totalen Design beinhaltet. Schäffners Programm beschränkt die Gunst der Stunde, den „historischen Augenblick“, bescheiden zwar nur auf den Kern der Wissenschaften, die »Restrukturierung des wissenschaftlichen Wissens«, bei der die Gestaltung als »integrative Kraft« eines Tetraeders des Wissens fungieren soll, seine Rhetorik ähnelt aber zu stark der Formel »von der Beschreibung der Welt zu ihrer Umgestaltung«, als dass man die Analogien zu den avantgardisischen Forderungen vor allem der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts übersehen könnte. Vor lauter Gestaltung meint man anfänglich die Kunst nicht mehr zu sehen, aber die altbekannte Forderung, »sich von der Kunst ab und den Dingen zuzuwenden« ergeht in Schäffners Aufruf an den Elfenbeinturm der Geisteswissenschaften. Die radikale Avantgarde, und in diese Tradition muss man Schäffners »design turn« tatsächlich stellen, buhlt um die Macht und hofft auf »die Unterstützung von seiten der Politik«, wenngleich diesmal unter spätkapitalitischen Vorzeichen. Niemand wusste das besser als Hegel in Berlin als er die Praxis seines System des Wissens ganz in die Hände des Preussischen Staates legte.

Linguistisches Postscriptum

Karl Simrock: Sammlung deutscher Sprichworte, Sprichwort Nr. 7277.

Vgl. Wolfgang Schäffner, »The Design Turn. Eine wissenschaftliche Revolution im Geiste der Gestaltung«, in: Claudia Mareis, Gesche Joost, Kora Kimpel (Hgg.): Entwerfen – Wissen – Produzieren. Designforschung im Anwendungskontext, Bielefeld 2010, S. 33-45.

Claudia Mareis, »Entwerfen – Wissen – Produzieren. Designforschung im Anwendungskontext«, a. a. O. (siehe Anm. 2), S. 9-32, hier S. 14.

Vgl. Hasso Plattner, Christoph Meinel, Ulrich Weinberg, Design Thinking, München 2009.

Karl Marx, »Thesen über Feuerbach«, MEW Bd. 3, Berlin 1990, S. 7.

1. Die Gedanken sind frei,/wer kann sie erraten,/sie fliehen vorbei/wie nächtliche Schatten./Kein Mensch kann sie wissen,/kein Jäger erschießen,/es bleibet dabei:/die Gedanken sind frei.//2. Ich denke, was ich will,/und was mich beglücket,/doch alles in der Still,/und wie es sich schicket./Mein Wunsch und Begehren/kann niemand verwehren,

es bleibet dabei:/die Gedanken sind frei.

Daniel Hornuff, Denken Designen. Zur Inszenierung der Theorie, Paderborn 2014, S. 17.

G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Werke 3, Frankfurt am Main 1986. S. 137.

Vgl. Pirmin Stekeler, Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein dialogischer Kommentar. Bd 1: Gewissheit und Vernunft, Hamburg 2014.

Vgl. Richard Sennett, Handwerk, Berlin 2008.

G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden. Bd 2: Jenaer Schriften 1801-1807, Frankfurt a. M. 1986.

Alexandre Kojève, Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens, (hg. von Iring Fetscher), Frankfurt a. M. 1975, S. 218.

Ebd., 266.

Groys Ansatz erläutern

PdG 141

PdG 145

In seiner Theorie der feinen Leute führt Thorstein Veblen, um die Schande der Handarbeit zu verdeutlichen, das Beispiel eines »gewissen Königs von Frankreich« an, »von dem es heißt, daß er im Dienste der feinen Lebensformen sein Leben einbüßte. Als nämlich einmal jener Höfling abwesend war, dessen Amt darin bestand, den Sessel Seiner Majestät zu verücken, blieb der König ohne Klage vor dem Kaminfeuer sitzen und erduldete die Verbrennung seiner erhabenen Person so lange, bis eine Heilung unmöglich war. Auf diese Art rettete sich Seine Allerchristlichste Majestät vor der schändlichen Befleckung durch gemeine Arbeit«. Thorstein Veblen, Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen, Frankfurt a. M. 2007, S. 57f.

PdG 153f.

Stekeler S. 706.

hier auf Susan Buck-Morss und Hegel und Haiti eingehen.

Groys, (a. a. O.), S. 11.

Groys, »Kunstaktivismus. Die totale Ästhetisierung der Welt als Eröffnung der politischen Aktion«, in: Lettre International (106, Herbst 2014), S. 88-93, hier S. 89.

Auf das Beispiel mit dem Palast eingehen.

Adorno zitiert nach Bürger S. 20.

Vgl. Peter Bürger, Theorie der Avantgarde, Frankfurt a. M. 1974, S. 20.

Ebd., S. 26.

Die Avantgarde konnte zumindest noch darauf hoffen, dass ihr Versprechen durch eine revolutionäre Politik eingelöst werde, während der politische Arm des Kunstaktivismus heute nur noch bemüht ist, die schlimmsten Fehlentwicklungen des Neoliberalimus zu kaschieren.

Hinweis, dass diese Veränderungen für Marx auf der materiellen Ebene stattfinden.

Hinweis auf russische Avantgarde.

Hinweis, dass Schäffners Text Teil eines erfolgreichen Drittmittelprojektantrages war.


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